Eine gemeinsame Pflichtschule für alle? Historische Bremsklötze und Momente der Bewegung

Veröffentlicht am 14. Januar 2023 um 13:15

Ideologische Vorwände, verfassungsgesetzliche Bremsklötze und bildungspolitische Resignation machen unser Schulsystem nicht besser. Wir wollen bildungsbewegte Aktionen
Über Gesamtschule zu reden war seit den 70er Jahren immer wieder angesagt, herausgekommen sind aufwändige Schulversuche und neue Namen für die alte Hauptschule. Am Nebeneinander von Pflichtschule = Hauptschule, Integrierter Gesamtschule, IGS, NMS, Mittelschule, MS und der „höheren“ AHS-Unterstufe hat sich nichts geändert.

Die wissenschaftliche Begleitung der Schulversuche, österreichische und internationale Forschungsergebnisse und, Jahre später, das akribische Ausarbeiten einer auch von der Landes-ÖVP halbherzig unterstützen Gesamtschul-Modellregion Vorarlberg haben weder die ÖVP, die ÖVP-Landeshauptleute, noch die ÖVP/FCG-dominierte GÖD überzeugen können. Den von FCG-Spitzenfunktionären der AHS-Gewerkschaft, ÖVP-Schülerunion und Elternvereinen Höherer Schulen betriebenen Verein „pro Gymnasium“ auch nicht.

Die alte Erzählung von einer Nivellierung nach unten, Niveauverlust und Gefährdung bestehender Bildungsvorteile für Kindern besser gestellter Eltern gegenüber denen von Arbeiter:innen und Migrant:innen wird immer wieder wiederbelebt und breit gestreut. Die negativen Folgen des sogenannten „leistungs-differenzierten“ und de facto sozial selektierenden österreichischen Schulsystems für die Lernmotivation und Bildungsqualität von Kindern und Jugendlichen, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für den Zustand der Demokratie, auch für den Wirtschaftsstandort sind in den Pandemiejahren sichtbar und in den Medien thematisiert worden. Eine breite, überparteiliche Initiative „pro Gesamtschule“ gibt es noch nicht, aber sie ist dabei sich zu bilden.

Gesamtschul-Vorstöße von SPÖ-Bildungsminister:innen sind immer wieder in den unübersichtlichen föderalistischen und parteipolitischen Machtstrukturen des österreichischen Schulsystems steckengeblieben. Im Parlament blockiert die ÖVP alle Schulgesetze, die ihren Interessen zuwiderlaufen, weil die ohne Zweidrittelmehrheit nicht beschlossen werden können.

Die SPÖ-Alleinregierung unter Kreisky wollte Österreich modernisieren und „alle Lebensbereiche mit Demokratie durchfluten“, aber keinen Gesamtschulstreit mit der ÖVP und den ÖVP-Landeshauptleuten. Daher hat es die Gesamtschule nur zu einem ressourcenreichen und folgenlosen Schulversuch Integrierte Gesamtschule/IGS gebracht. Den hat die AHS-Gewerkschaft ignoriert und die ÖVP geduldet. Die SPÖ propagierte die Losung „mehr Arbeiterkinder an die AHS“, Gratisschulbuch und Schüler*innenfreifahrt haben den Schulbesuch von Arbeiterkindern erleichtert und die Chancen auf sozialen Aufstieg durch höhere Bildungsabschlüsse verbessert.

Demokratische, soziale, kulturpolitische, wirtschaftliche und die pädagogischen Argumente für die gemeinsame Pflichtschule aller Kinder wurden damals und werden bis heute in Grundsatzprogrammen abgelegt, nicht nur von der SPÖ, den Neos und auch von den Grünen, die ihre Koalition mit der ÖVP nicht mit der „unrealistischen“ Gesamtschulforderung belasten wollen.

 

ABER: Nach dem Ende von Schwarz-Grün ist eine Regierung ohne ÖVP möglich. Auch wenn die ÖVP-Sperrminorität bei 2/3-Mehrheitsbeschlüssen im Parlament und die Vormachtstellung der ÖVP-Landesparteien in „schwarzen“ Bundesländern bestehen bleiben: Die ÖVP ist mit dem Aufstieg und Absturz von Türkis-Kurz mittendrin in einer schweren Krise. Widersprüche zwischen christlich-sozialen Vorstellungen und macht-, standes-, bünde- und landesparteipolitischen Interessen brechen auf, mit ungewissem Ausgang. Es gab und gibt ÖVP-Politiker:innen in Landesparteien, auch Funktionär:innen in Wirtschaftsbund, Bauernbund und in der Fraktion christlicher Gewerkschafter/ÖAAB in den Arbeiter:innen und Angestellten-Gewerkschaften des ÖGB, die für eine soziale, fördernde und dem Wirtschaftsstandort nützliche gemeinsame Schule offen bzw. zu gewinnen sind. Das trifft bis auf weiteres nicht auf die „schwarze“ GÖD und ihre fünf (5) Lehrer:innengewerkschaften zu, allerdings geraten die zunehmend unter Druck der parteiunabhängigen Österreischischen Lehrer:inneninitiative (ÖLI-UG), in der Landeslehrer:innen der Pflichtschule und Berufsschule mit Bundeslehrer:innen der AHS und BMHS zusammenarbeiten.

 

 Der lange Weg der Schulorganisation in die Bundesverfassung = Schulgesetze 1962
Schulorganisation, Föderalismus und das Auseinanderdividieren von Schüler*innen und Lehrer*innen

Bis 1867 herrschte die Kirche über die Schule der Habsburgermonarchie. Mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich wurde das Schulwesen staatlich geregelt und föderalistisch verwaltet. Die Grundsatzgesetzgebung lag nun beim k.k. Reichsrat und die Ausführungsgesetze kamen in die Kompetenz der Kronländer, darunter die heutigen Bundesländer Ober- und Niederösterreich, Kärnten, Salzburg, Steiermark, Tirol und Vorarlberg.[1] In der 1. Republik verteidigten die Christlichsozialen die „historische Individualität der Länder“ gegen den republikanischen Zentralismus der Sozialdemokratie. Den Föderalismus konnte das „Rote Wien“ für die Schulreformen Otto Glöckels nützen. 18 Standorte in Wien wurden zu gemeinsamen Schulen der 10-14-Jährigen. In den anderen Bundesländern und im Ministerium blieb alles beim Alten. Die Frage der Schulorganisation kam nicht in die Bundesverfassung, das Parlament verordnete sich eine Nachdenkpause, die von Austrofaschismus, NS-Herrschaft und Weltkrieg unterbrochen und in der 2. Republik fortgesetzt wurde.

Erst 1962 beschloss die Wiederaufbau-Koalition von ÖVP und SPÖ das Schulorganisationsgesetz und andere Schulgesetze. Für die ÖVP war damit der „fast 100-jährige Schulstreit beendet“, das differenzierte Schulsystem über die Zweidrittelmehrheit festgeschrieben. Für die SPÖ war 1962 der „Stellungskrieg vorbei“. Die große Schulreform, für die die SPÖ seit ihrer Gründung eingetreten ist, verschwand von der Tagesordnung, die Gesamtschule wurde in Parteiprogrammen abgelegt. Länder und Landesparteihauptleute behielten „ihre“ Pflichtschulen (VS, Hauptschule/MS, Poly, BS, Landwirtschaftsschulen) und die Landeslehrer*innen in ihrem Machtbereich, dem Bund blieben die Schulgesetzgebung, die Bundesschulen (AHS, BMHS) und die Lehrer:innenkosten für die Bundeslehrer:innen (dzt. über 40.000 AHS- und BMHS-Lehrer:innen). Der Bund bezahlt über den Finanzausgleich Bundes- und Landeslehrer:innen (heute weit über 70.000), die Länder sind Dienstgeber der Landeslehrer:innen und für die Ausführungsgesetze der Pflichtschulen zuständig, das Bildungsministerium ist für die Bundeslehrer:innen der Bundesschulen (AHS, BMHS) zuständig, wobei die AHS-Unterstufe keine Pflichtschule ist.

 

ÖVP-Bundes- und Landesparteipolitik hat Gesamtschul-Initiativen schon zu lange blockiert
Eine gemeinsame Pflichtschule für alle mit gemeinsam ausgebildeten und von einem gemeinsamen Dienstgeber angestellten und bezahlten Lehrer:innen sind ohne eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit ohne Zustimmung der Bundes-ÖVP nicht zu haben. Ohne die Zustimmung der von ihren Landesparteien nominierten ÖVP-Abgeordneten auch nicht. Die Bildungs- und Lebenschancen aller Kinder in Österreich und machtpolitisch grundierte Partei-Interessen in Bund und Ländern kommen seit den Gründungsjahren der 1. Republik auf keinen gemeinsamen demokratischen Nenner. Das hat historische und damit veränderbare Ursachen.

 

Koalitions- oder Einparteienregierungen mit „schwarzen“ oder „roten“ Bundesminister:innen

Die Unterrichtsminister stellte bis 1971 die ÖVP, dann modernisierten SPÖ-Minister:innen den Schulbetrieb mit dem Schulunterrichtsgesetz und ersten Mitbestimmungsmöglichkeiten, ehe 1994 bis 2007 wieder die ÖVP übernahm. Nach der Abwahl von Schüssel und seiner Unterrichtsministerin Gehrer versuchten SPÖ-Ministerin Schmied, Heinisch-Hosek und Hammerschmid In einer kleiner gewordenen SPÖ-ÖVP-Koalition, unterstützt von den Grünen, erste Schulreformen in Richtung Gesamtschule. Sie erreichten die Zustimmung der ÖVP zu einer gemeinsamen Pädagog:innenausbildung an Unis und PHs und einem gemeinsamen Pädagog:innen-Dienst- und Besoldungsrecht. Der gemeinsamen Pflichtschule standen und stehen aber die ÖVP und das Schulorganisationsgesetz von 1962 sperrig im Weg. Das „leistungsdifferenzierte“ Nebeneinander der föderalistisch aufgesplitterten Pflichtschulen und einer „höheren“ AHS-Unterstufe blieb unangetastet. Eine Gesamtschul-Modellregion Vorarlberg, die von Vorarlberger Grünen der Landes-ÖVP abgerungen wurde, unterstützte die SPÖ, die Bundes-ÖVP und die Landespartei haben das gemeinsam mit der FCG/ÖAAB-Mehrheit in der GÖD verhindert.

Die ÖVP stellt seit 2017 wieder die Unterrichtsminister. In den Bundesländern NÖ, OÖ, Tirol, Salzburg, Steiermark und Vorarlberg regieren machtbewusste ÖVP-Landeshauptleute. Verglichen mit dem in NÖ, OÖ und Tirol von Wirtschafts-, Bauernbund-, ÖAAB- und FCG-GÖD Funktionär:innen ausgeübten parteipolitischen Druck auf die Schulen, scheint dieser im „Roten Wien“, in Kärnten und auch im Burgenland weniger ausgeprägt. Indiz dafür sind FCG/ÖAAB-Mehrheiten in roten Bundesländern in den Personalvertretungen der Bundeslehrer:innen (Fachausschüsse AHS und BMHS) und dass im Roten Wien die FSG ihre Mehrheit und den Vorsitz im Wiener Zentralausschuss der Pflichtschul= Landeslehrer:innen an FCG/ÖAAB verloren hat.

Nationalratswahlen bringen wechselnde Parlaments- und Regierungsmehrheiten und in Folge gibt es neue Minister:innen und Generalsekretäre und neue, oft aufgeblasene Minister:innenbüros. Je nach Parteinähe von Spitzenbeamt:innen verschieben sich auch deren Aufgabenbereiche.

 

Landesparteipolitik, Bildungsdirektion, Direktor:innenbestellungen und die Lehrer:innen

 Diese Veränderungen betreffen Bundesministerium und bildungspolitische Debatten im Parlament. Die Auswirkungen auf die unmittelbare Schulverwaltung der Bundesschulen und auf die mittelbare Verwaltung der Landes=Pflichtschulen sind dagegen überschaubar, weil die alten und die neuen Gesetze und Verordnungen auf Landesebene von den Bildungsdirektionen (früher Landesschulräte/SSR Wien) vollzogen werden, wie´s der Tradition des Bundeslandes entspricht. Das gilt für die Personalpolitik, für Lehrer:innenanstellungen und Karriereverläufe im Schuldienst. In den ÖVP-regierten Bundesländern ist der von Landespartei, GÖD-Funktionären, FCG/ÖAAB-Personalvertreter:innen, Schulaufsicht und Direktor:innen[2] ausgeübte Einfluss ungebrochen. Eine Ausnahme ist Vorarlberg, wo oppositionelle Listen der Vorarlberger Lehrer:inneninitiative (ÖLI-UG) in den Personalvertretungen der AHS-, BMHS- und Berufsschullehrer:innen die Mehrheitsfraktion stellen, während im Pflichtschulbereich/APS die FSG-unterstützten Freien Lehrer:innen die FCG/ÖAAB zur Minderheitsfraktion gemacht haben. Von Vorarlberg abgesehen, erleben Kolleg:innen ihre Abhängigkeit von schwarzen Landespartei-, Personalvertretungs- und Gewerkschaftsfunktionär:innen oft schon beim Einstellungsgespräch, bei der Zuweisung zu einer Wunsch-Schule und später bei der Vergabe von Aufstiegschancen. Über die Einstellung von Landes- und Bundeslehrer:innen entscheiden in der Praxis Schulleiter:innen[3], an deren Empfehlungen sich die Personalabteilungen der Bildungsdirektionen orientieren, und umgekehrt.

Die mehr oder weniger freiwillige Loyalität vieler Landesbediensteten und Landeslehrer:innen gegenüber ihrer Landeshauptfrau oder dem Landesvater besteht und lässt sich an Wahlergebnissen bei Landtags-, Gemeinderats- und Personalvertretungswahlen ablesen. Die ÖVP weiß, warum sie die Pflichtschullehrer:innen als Landeslehrer:innen unter ihrer Obhut halten will.

 

ABER: Widersprüche in bisher konservativ-beharrenden, leistungs- und wirtschaftsdominierten und christlich grundierten Parteien brechen auf. Nicht nur in Vorarlberg.

 Widersprüche gibt es auch in Parteien und Organisationen, die in ihren Grundsätzen für die Gesamtschule sind. Dabei geht es vor allem um den Widerspruch zwischen den Bildungs-Interessen aller Arbeitnehmer:innen und den Abstiegsängsten der sozialen Aufsteiger:innen unter ihnen, die sich als Teil der inzwischen bedrohten Mittelschicht verstehen. Sie wollen ihren Kindern wenigstens die realen Bildungsvorteile des zweigliedrigen Schulsystems bewahren. Die reale Benachteiligung von Arbeiterkindern, von „bildungsfernen“, von migrantischen Kindern und sozialen, wirtschaftlichen und demokratiepolitischen Folgen hat da wenig Gewicht. Arbeitnehmer:innen wie sie sind wie die ÖVP „pro Gymnasium“ und für das Auseinanderdividieren der 9-/10-Jährigen in „bessere“ AHS-Unterstufe-Kinder und in gewöhnliche Pflichtschüler:innen, die in Mittelschulen und Poly bleiben sollen. SPÖ, ÖGB und AK werden diesen Widerspruch auch mit ihren Mitgliedern diskutieren und solidarisch lösen müssen.

 Die ÖVP kann zwar weiter jede Veränderung der Schulorganisation in Richtung Gesamtschule verhindern, aber nur solange es im Nationalrat keine Zweidrittelmehrheit ohne Zustimmung der ÖVP gibt und wenn alle ÖVP-Abgeordneten parteidiszipliniert abstimmen und nicht christlich-sozial entscheiden.

 

ÖVP-Parteipolitik, Gewerkschaft, und Personalvertretung

Die Sonderstellung der ÖVP-Fraktion FCG/ÖAAB in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst und in den Zentralausschüssen und Fachausschüssen der Personalvertretung hat Geschichte. Nach der Gründung des ÖGB 1948 kam es zur Gründung seiner Teilgewerkschaften, darunter die „schwarze“ GÖD, die Bundes- und Landesbedienstete organisiert. Nicht dabei waren die Wiener Landesbediensteten, sie sind nicht in der GÖD zusammengefasst, sondern als Gemeindebedienstete in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten/GdG, heute Younion. Die GÖD ist nicht zufällig „schwarz“, die GdG/younion nicht zufällig so „rot“ wie die anderen ÖGB-Gewerkschaften.

1967, unter der ÖVP-Alleinregierung, wurde das Personalvertretungsgesetz für den öffentlichen Dienst beschlossen und damit demokratische Wahlen in Personalvertretungen auf Ebene der Dienststelle (DA), des Landes (FA/ZA für Landesbedienstete) und der Zentralstelle (Bundesministerium für Bundesbedienstete)[4].

Die ZA-Wahlergebnisse der 3 ÖGB-Fraktionen FCG, FSG und - nach einem bis zum OGH geführten Rechtsstreit - seit 2015 auch UG werden von der GÖD als Grundlage für die Zusammensetzung ihrer Gewerkschaftsgremien genommen.

Das PVG legt auch die Geschäftsführung der Organe, der Vorsitzenden und Schriftführer*innen fest, ebenso die vom Dienstgeber zu vergebenden Dienst-Freistellungen. Über ihre Verteilung an PV-Funktionär:innen des jeweiligen Bereiches entscheidet der Zentralausschuss mit einfacher Mehrheit,  Einvernehmen mit den Minderheitsfraktionen ist nicht vorgeschrieben, das Wahlergebnis ist  irgendwie zu berücksichtigen. Klar ist: Vorsitzende, ihre Stellvertreter:innen und die mit Mehrheit gewählten Schriftführer:innen werden mit großzügigen Freistellungen bedacht. Wenn eine Minderheitsfraktion den vorgeschriebenen Stimmenanteil für den stv. Vorsitz erreicht, kann die Mehrheitsfraktion diesen Verlust von Freistellungsstunden durch das Wählen zusätzlicher stv. Vorsitzender kompensieren. Von den Freistellungen profitiert bei den Lehrer:innen vor allem FCG/ÖAAB.

 

PV-Mandatar:innene in Zentral- und Fachausschüssen sind vielfach Gewerkschaftsfunktionär:innen in Bundes- und Landesleitungen der GÖD und können die PV-Freistellungen auch für ihre Gewerkschafts- und Fraktionsarbeit nützen. Da die Minderheitsfraktionen FSG und ÖLI-UG derzeit nur einige (stv.) Vorsitzende stellen, fallen die meisten Freistellungen an die Mehrheitsfraktion FCG/ÖAAB. Dazu kommen die vom Dienstgeber dem ZA zur Verfügung gestellte Infrastruktur, Sekretariatsräume und Sekretär:innen. Die Bundesleitungen der Gewerkschaft verfügen über eine vergleichbare Infrastruktur. Personal- und Gewerkschaftsvertreter:innen an den Dienststellen und die der Minderheitenfraktionen in ZA und FA arbeiten großteils ehrenamtlich, in ihrer Freizeit.

Dienstfreistellungen, Infrastruktur, das Verfügen über Form und Inhalt der Gewerkschaftszeitungen und die „guten Beziehungen“ zu ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär:innen und Parteifreunden in Ministerium, Bildungsdirektionen, Schulaufsicht und Schuldirektionen waren lange Zeit die exklusive Basis für FCG/ÖAAB-Vertretungs- und Fraktionsarbeit, für Wahlagitation und Wahlerfolge, auch für Landtagswahlergebnisse, nicht nur in NÖ und Tirol.

 

Eine Pädagog:innen-Profession, aber fünf GÖD-Gewerkschaften und 28 Zentralausschüsse

In der GÖD gibt es keine Lehrer:innengewerkschaft, sondern fünf (5) Lehrer:innen-Gewerkschaften, je eine für Pflichtschulen, Berufsschulen, AHS, BMHS und für die Landwirtschaftslehrer:innen, die nebeneinander ihre Sparten- und Standespolitik betreiben. Eine ARGE aller fünf Lehrer:innengewerkschaften der GÖD gibt es zwar, sie hat nur koordinierende Aufgaben, Entscheidungen trifft jede Sparte für sich.


Gem. PVG gibt es 28 Zentralausschüsse/ZA: 2 Bundes-ZA beim Ministerium (je einen für AHS und BMHS), 9+9+8[5]=26 Landes-Zentralausschüsse bei der Landesregierung (in jedem Bundesland einen für APS, BS und landwirtschaftliche Schulen), AHS und BMHS haben auf Landesebene je einen Fachausschuss/FA. Außerdem gibt es noch den ZA der Pädagogischen Hochschulen/PH, deren Bedienstete in der GÖD aber nur eine Fachgruppe in der APS-Gewerkschaft und keine eigene Bundesleitung vertritt. PH-Lehrende sind zwar Hochschullehrende, aber nicht in der Bundesvertretung Universitätsgewerkschaft, Wissenschaftliches und Künstlerisches Personal organisiert, sondern werden in der FCG-dominierten GÖD trotz der bereits 2013 beschlossenen Pädagog:innenausbildung NEU[6] weiter als Landes- bzw. Pflichtschullehrer:innen wahrgenommen.

 

ABER: Die absoluten Mehrheiten von FCG/ÖAAB haben Risse bekommen. Nicht nur in Vorarlberg. Mit den parteiunabhängigen Gewerkschafter:innen/ÖLI-UG gibt es heute eine Organisation, die von Landes und Bundeslehrer:innen gemeinsam getragen wird und in Personalvertretungs- und Gewerkschaftsgremien die gemeinsamen Arbeitnehmer:innen-Interessen aller Schultypen vertritt. ÖLI-UG treten für eine gemeinsame ganztägige Pflichtschule ein. Auch die Sozialdemokrat:innen der FSG beginnen damit, sich von ihrer Rolle als kleiner Koalitionspartner der in der GÖD immer noch dominaten FCG zu emanzipieren.

 

Im ÖGB hat es zur Überwindung der ÖGB-Krise Veränderungen gegeben. Bis 2006 hatte die FCG im ÖGB ein faktisches informelles Vetorecht bei Beschlüssen, die ÖVP/ÖAAB/Wirtschaftsbund-Positionen nicht gepasst haben. SPÖ-ÖVP-Koalitionen oder sozialpartnerschaftliche Bildungs-Beratungen von ÖGB/AK-Wirtschaftsbund/LWK und Industriellenvereinigung haben auch in der Bildungspolitik Konflikte vermieden, Kompromisse gesucht und Begriffe wie „Gesamtschule“ oder „gemeinsame Schule“. Aus Rücksicht auf die ÖVP. Das hat sich angesichts der neoliberalen Kahlschläge der Regierung Schüssel verändert.

 Unter Schwarz-Blau und noch ungenierter unter Türkis-Blau wurde die traditionelle Konsenspolitik der Sozialpartnerschaft für überholt erklärt. Auch aus antisozialistischem Ressentiment wurden ÖGB und AK von „der Wirtschaft“ und ihrer ÖVP-FPÖ-Regierung ignoriert. Die Gewerkschaftsbewegung ist aber nicht eingeknickt, der ÖGB konnte sich in einem nicht abgeschlossenen Reformprozess als gemeinsame Interessensvertretung aller Arbeitnehmer:innen konsolidieren. In Grundsatzfragen wie vermögensbezogene Steuern, Sozialhilfe, Arbeitszeit, freier Hochschulzugang oder Gesamtschule machte die FSG-Mehrheit statt der Kompromisse mit der FCG/GÖD klare Ansagen. Den kontroversiellen Debatten der letzten ÖGB-Kongresse zu Sozial-, Bildungs- und Steuerpolitik folgten , oft mit Unterstützung der oppositionellen Minderheitsfraktionen GLB/Gewerkschaftlicher Linksblock und UG/parteiunabhängige Gewerkschafter:innen, Mehrheitsbeschlüsse gegen FCG/ÖAAB.

  

Bildung für alle - Für eine neue, aktionsorientierte Schuldiskussion JETZT!

Die ÖGB-Mehrheitsbeschlüsse zur gemeinsamen Schule haben bisher noch keine öffentliche Diskussion ausgelöst und keine breite soziale und demokratischen Bildungsbewegung auslösen können. Weil das gestern so war, wird´s morgen nicht so bleiben.

Corona hat die Krise des sozial selektierenden Nebeneinanders von Pflichtschule (Hauptschule/Mittelschule + Polytechnische Schule) und AHS-Unterstufe (keine Pflichtschule und nur für Kinder mit bildungsfördernden Eltern und ausreichend guten Volksschulnoten) erneut sichtbar gemacht. Bildung wird in Österreich immer noch vererbt. Die individuelle Förderung und die soziale Integration aller Kinder und Jugendlichen scheitert an der österreichischen Schulorganisation, mit der die Stände- und Klassenschule des 19. Jahrhunderts fortgeschrieben wird.

 

Eine demokratische und soziale Schulreform ist notwendig. Die tiefe Krise der ÖVP erfasst Bundes- und Landesparteien, auch die traditionelle GÖD-Standespolitik. Das Kinder- und Menschenrecht auf kostenlose öffentliche Pflichtschule-Bildung für alle, unabhängig von Herkunft und sozialem Status der Eltern ist möglich. Auch in Österreich. Es braucht eine breite Bewegung, die Parlamentsparteien SPÖ, Grüne, Neos dazu bringt, ihren resignativen Fatalismus in der Schulfrage überwinden („die ÖVP verhindert doch seit immer schon die Gesamtschule, Zweidrittelmehrheit ohne ÖVP geht nicht, Landeshauptleute-Föderalismus …“) aufzugeben und Teil dieser demokratischen Bildungsbewegung zu werden, gemeinsam mit KPÖ und Linken in den Ländern, Gemeinden und Städten. Die gemeinsame und ganztägig geführte Pflichtschule ist ein Projekt für wenigstens zwei Legislaturperioden, fortschrittliche Mehrheiten und ausdauernden Druck von außen-unten.

 

Glück auf!

 

© Reinhart Sellner, Jg. 1947, Liedermacher, war 1971-2012 AHS-Lehrer, 10 Jahre im Schulversuch Integrierte Gesamtschule an einer Wiener Hauptschule, Personalvertreter und ÖGB-Gewerkschafter in der GÖD, nach vom OGH entschiedenen Rechtsstreit mit der GÖD 2015-18 Vertreter der Unabhängigen Gewerkschafter:innen im GÖD-Vorstand.

 

[1] Kronländer des Kaiserreiches Österreich nach 1867: Königreich Böhmen, Herzogtum Bukowina, Markgrafschaft Mähren, Herzogtum Ober- und Niederschlesien, Königreich Galizien und Lodomerien, Herzogtum Krain, Königreich Dalmatien, Küstenland (Görz und Gradisca, Istrien, Triest), Erzherzogtum Österreich unter der Enns, , Erzherzogtum Österreich ob der Enns, Herzogtum Kärnten, Herzogtum Salzburg, Herzogtum Steiermark, Gefürstete Grafschaft Tirol, Land Vorarlberg

[2] [2]Auswahl und Bestellung von Schulleiter:innen bestimmen Bestellungskommissionen mit je 4 stimmberechtigten Mitgliedern: 2 sind Vertreter:innen der Bildungsdirektion, eine hat den Vorsitz der Kommission und damit das Dirimierungsrecht im Falle von 2:2-Abstimmungen. Die 2 Dienstnehmer-Vertreter:innen nominieren die Landes-Personalvertetung (ZA APS, ZA-BS, ZA-ldw.Sch., FA AHS, FA BMHS) und die Bundesvertretung in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst. Parteipolitisch bedeutet das z.Zt. in den ÖVP-Bundesländern mit Ausnahme Vorarlbergs ein 4:0 in den Bestellungskommissionen. Im „Ländle“ kann aufgrund der parteiunabhängigen PV-Wahlerfolge von ÖLI-UG (AHS, BMHS, BS) bzw. FSG/Unabhängige (APS) die FCG/ÖAAB keine Landes-Personalvertreter:in nominieren, da steht es nur 3:1 für die ÖVP.
In den SPÖ-Ländern gibt es nur im Landeslehrer*innen-ZA Burgenland und Kärnten FSG-Vorsitzende und damit in den Bestellungskommissionen eine 3:1-SPÖ-Mehrheit. In Wien hat die FSG den Vorsitz an die FCG verloren, in den Kommissionen steht es 2:2. 2:2 steht es in allen 3 SPÖ-Ländern auch in den Bestellungskommissionen AHS und BMHS, d.h. Dirimierung durch SPÖ/Bildungsdirektion gegen oder Kompromiss mit ÖVP/FCG.

 [4] Mit der neoliberaler Budget- und Privatisierungspolitik kam es seit den 1990er-Jahren zu zahlreichen Ausgliederungen. Aus dem öffentlichen Dienst übernommene Kolleg*innen wählen weiter ihre PV-Zentralausschüsse, alle Beschäftigten wählen gem. ArbVerfG Betriebsräte (um die Anerkennung ihrer Wahlen für die Zusammensetzung der GÖD-Gremien sind die Unabhängigen Gewerkschafter*innen in der GÖD aktiv).

[5] In Wien gibt es keine lw. Pflichtschule, daher keinen Lw.Pflichtschul-ZA (Höhere lw. Schulen werden vom ZA bzw. auf Landesebene vom FA BMHS vertreten)

[6] Ausgegeben am 11. Juli 2013 Teil I - 124. Bundesgesetz: Bundesrahmengesetz zur Einführung einer neuen Ausbildung für Pädagoginnen und Pädagogen (NR: GP XXIV RV 2348 AB 2397 S. 206. BR: 9006 AB 9012 S. 822.)

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